Short Stories DE

Auf dem Rücken des Teufels

This story was inspired by Katzenjammer’s song Hey Ho on the Devil’s Back. Pic by Unknown.

Ich traf den Teufel auf dem Highway 16, auf dem Weg in die kanadische Wildnis. Er bot mir eine Mitfahrgelegenheit an. Seine Augen verrieten ihn, winzige Flammen, die in den Tiefen seiner Pupillen tanzten und einen züngelnden Ring um seine kohlschwarze Iris bildeten. Sein Lächeln war so scharf wie eine Klinge. Eine stumme Herausforderung an sein Gegenüber, trau dich… Genau die Art von Lächeln, die mich schon immer in Schwierigkeiten gebracht hat. Genau die Art von Mann, vor der ich gerade geflohen war. Leider auch die Art, die mich unwiderstehlich anzog.
Er war nicht der einzige Teufel, der in dieser Nacht unterwegs war.

***

»Du siehst aus, als könntest du eine Mitfahrgelegenheit gebrauchen. Spring rein.« Er hatte das Fenster runtergekurbelt, stieß die Beifahrertür auf. Der Streifen warmen gelben Lichts, der auf meine Füße fiel, wirkte so einladend, dass ich fast nachgegeben hätte. Der Regen, der in meinen Kragen rann, ließ mich erzittern. Aber nicht nur er.
Stundenlang war ich zu Fuß auf dem Highway unterwegs gewesen ohne eine Menschenseele zu treffen. Nur vereinzelte Waschbären leisteten mir Gesellschaft – und die Schilder.
In unregelmäßigen Abstanden tauchten sie auf, große gelbe Warnungen, speziell für Frauen, nicht zu Hitchhiken. Auch ich war mit den Geschichten über diesen Streckenabschnitt des Highways aufgewachsen. Zwischen den Städten Prince Rupert und Prince George waren über die letzten Jahrzehnte unzählige Frauen verschwunden. Die meisten Fälle waren niemals aufgeklärt worden. Keine Frau, die noch all ihre Sinne zusammenhatte, hätte getan, was ich gerade tat. Allerdings bezweifelte ich, dass eine von ihnen in meiner speziellen Situation gewesen war.
Es dämmerte und der Regen hatte sich verstärkt. Meine Sachen klebten an mir und der Stoff meines Militärrucksacks hatte sich so voller Wasser gesogen, dass er mir 20 Kilo schwerer erschien, als er in Wirklichkeit war. Einfach einzusteigen und sich mitnehmen zu lassen war ein verdammt verlockendes Angebot.
Der Mann wartete immer noch geduldig auf meine Antwort.
Mit seiner beginnenden Glatze und dem Bauchansatz schätzte ich ihn auf Ende 40. Er hatte die Ausstrahlung eines gewissenhaften Vertreters und die Sorge eines Familienvaters in seinen Augen. Trotzdem.
Ich sah mein Spiegelbild in der Reflexion seiner Brillengläser. Kurzes, braunes Haar mit blondierten Strähnen durchzogen, die mir am Kopf klebten, dunkle Ringe unter den blauen Augen, zu großer grüner Armyparka, löchrige Schuhe, mit Panzertape umwickelt, damit sie nicht auseinanderfielen, Kratzer auf der Wange. Ich sah aus wie eine Pennerin, bestenfalls wie eine Ausreißerin. Was ich beides nicht war. Wenn ich er wäre, ich hätte mich nicht mitgenommen.
»Ich komme zurecht. Vielen Dank.« Ich verschob den Riemen des Rucksacks auf meiner Schulter in eine angenehmere Position und wandte mich zum Gehen.
»Bist du ganz sicher?« Etwas leuchtete in seinen Augen auf –

As I was walking in the big black woods//
Hey ho, the big black woods//
I met the evil devil and he offered me a ride//
Hey ho, he offered me a ride//

Ich nickte.
Und erlosch unvermittelt. »Wie du willst.« Die Tür schlug zu, der Motor dröhnte, der Mann hob zum Abschied die Hand, dann verschwand der Wagen in den Regenvorhängen, bis ich nur noch in weiter Ferne die winzigen Rücklichter ausmachen konnte, leuchtend wie kleine Irrlichter.

***

Eine halbe, vielleicht war es auch eine ganze Stunde oder länger, schwer einzuschätzen ohne Uhr, hielt ein weiterer Wagen mit quietschenden Reifen neben mir. Ich hatte das Röhren des Motors schon eine ganze Weile in der Ferne vernommen. Ihn zuerst für nahendes Donnergrollen gehalten und den rissigen Asphalt unter meinen Füßen vibrieren gespürt, wie ein Seismograph, der ein Erdbeben ankündigt.
Es war ein Sportwagen. Ob er schwarz oder blau war konnte ich in der Dunkelheit nicht erkennen. Aber die nachtleuchtenden, aufgemalten Flammen, die sah ich.
Ein Singsang erreichte mich aus dem Dunkel des Wagens. »Wohin, wohin des Weges, schöne Maid?« In diesem Moment ging die Innenbeleuchtung an und ich konnte ihn sehen. Lederjacke, dunkles verstrubbeltes Haar, ein Haifisch-Lächeln und Feuer in den Augen. Er war perfekt.
»Jasper Nationalpark.«
Sein Mund verzog sich zu einem langsamen Lächeln. Er betrachtete mich mit hungrigem Blick. »Eine ganz schön weite Strecke. Zu Fuß, mitten in der Nacht. Noch dazu im Regen.« Mit einem Schnurren fügte er hinzu: »Ganz allein.« Die Gänsehaut auf meinen Armen kam definitiv nicht von der Kälte.
Ich zuckte nonchalant die Schultern. »Ich bin Härteres gewohnt.«
Eine Augenbraue ging in die Höhe. Mit einem kehligen Lachen meinte er. »Du holst dir noch den Tod, Mädchen. Spring ein.«
Ich zögerte nur einen Augenblick. Mit einem satten Ton schloss sich die Tür hinter mir und sperrte den Regen aus. Ich stopfte meinen Rucksack in den engen Fußraum der Beifahrerseite.
Im Inneren des Wagens roch es nach Holzrauch, Kaminfeuer, Zimt und nach Gefahr. Ich leckte mir über die Lippen. Seine Lederjacke hatte spitze Metallnieten, Löcher an den Ärmeln, die Säume waren ausgefranst und der Aufnäher, ein brennender Adler mit ausgebreiteten Schwingen, war blass und fadenscheinig. Ohne mich anzusehen fuhr er los.
Im Licht des Armaturenbretts musterte ich sein Profil. Lange dunkle Wimpern, dünne Lippen, die Nase spitz, mit einem leichten Knick nach oben. An den Wangenknochen konnte man sich schneiden wie an seinem Lächeln. Bartstoppeln betonten ein schmales Kinn. Auch der Rest von ihm war scharfkantig und spitz. Er musste einige Jahre älter sein als ich.
Wir fuhren eine Weile schweigend. Dann fingen die nervigen Fragen an.
»Wie heißt du?«
»Was geht dich das an?« Ich versuchte meine Füße in den klobigen Stiefeln bequem auf dem Armaturenbrett abzustützen, gab jedoch auf, als mich ein missbilligender Blick traf.
Er sah aus dem Fenster und zog nur wieder eine Augenbraue hoch. »Und was willst du im Nationalpark?«
»Familienangelegenheiten.«
»Arbeiten deine Eltern dort als Wildhüter?«
»Sowas in der Art.«
»Du bist nicht sonderlich gesprächig, was?«
Ich brummte etwas Unverständliches. Er hatte mir seinen Namen ebenfalls nicht gesagt.
Er gab nicht auf. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?« Ein Finger berührte den langen verschorften Kratzer auf meiner linken Wange.
»Nachbarskatze«, sagte ich schroff.
»Sieht mir nicht danach aus.«
»Wie sieht es denn deiner Meinung nach aus?«
»Wie eine erst kürzlich verheilte Schnittwunde.«
Ich schwieg, sah aus dem Fenster.
Er seufzte. »Und wo lebt diese, hmm, Nachbarskatze?«
»Weit, weit weg von hier.«
Er seufzte noch einmal, ungeduldiger.
Bevor er wieder anfangen konnte, kam ich ihm zuvor. »Hör zu, ich bin nicht in Stimmung für Konversation. Können wir uns darauf beschränken, das Radio anzuschalten und zu schweigen?«
Er warf mir einen schnellen Seitenblick zu. »Ist kaputt.«
Das ärgerte mich. Ich wollte die Lokalnachrichten hören. Zu gern hätte ich gewusst, ob sie etwas über einen verlassenen Lastwagen auf dem Highway 35 brachten. »Was, du fährst einen niegelnagelneuen Sportwagen und hast ein kaputtes Radio? Ich an deiner Stelle hätte den Wagen längst reklamiert.«
»Ich mag kaputte Dinge.« Sein Tonfall und der lange Blick, der mich aus halb geöffneten Augen traf, sagte mir, dass er nicht über das Radio sprach.
Meine Nackenhaare richteten sich auf.
»Außerdem ist die Corvette nicht neu. Nur gut gepflegt. Siehst du nicht die Risse in den Ledersitzen?«
Ich drehte mich um. Musterte meinen Sitz. Für einen Augenblick schlug mein Herz schneller. Die Risse wirkten auf mich wie Krallenspuren. Ich drehte mich wieder um. Mein Mund war trocken. Ich musste mehrmals schlucken, bevor ich sprechen konnte. Leichthin sagte ich: »Noch nie von Lederpolitur gehört? Oder Schonbezügen?«
Er schenkte mir ein spöttisches Lächeln. »Ich mag es nicht neu oder glänzend oder -», nach kurzem Nachdenken, »Sanft.« Ich sah den Schalk in seinen Augen aufleuchten, doch sein Lächeln war scharf. Trau dich…
Plötzlich knurrte mein Magen.
»Bist du hungrig? Ich auch.« Sein Blick wanderte an mir rauf und runter. Es gab nicht viel zu sehen, alles war unförmig durch den Parka und vor allem klatschnass. Es schien ihn nicht zu stören. »Wir haben noch gar nicht den Preis für die Mitfahrgelegenheit ausgehandelt.«
Wäre ich doch nur mit dem Handelsvertreter mitgefahren.
Unvermittelt stoppte er den Wagen, schnallte sich ab, beugte sich zu mir herüber. »Es gibt hier meilenweit weder eine Tankstelle noch ein Dinner.« Seine Stimme war ein gefährliches Flüstern. Sein Atem war heiß auf meiner Haut. »Niemand wird vorbeikommen.«
Ich ließ zu, dass er näherkam.
Sein Kuss hinterließ eine brennende Feuerspur auf meinem Hals, wie der Eintritt in den zweiten Höllenkreis. »Niemand wird uns stören.«
Grob packte er mein Kinn, hob es an und küsste die empfindliche Stelle an meiner Kehle. »Niemand wird dich hören.«
Prompt entfuhr mir ein leiser Seufzer. Das ließ meine Wut aufflammen. Abrupt schlug ich seine Hand zur Seite. Ich durfte mir keinen Kontrollverlust leisten. Nicht. Heute. Nacht. »Lass das. Ich bin müde und will einfach nur nach Hause.«
Er warf mir einen spöttischen Blick zu, rutschte auf seine Seite zurück, startete den Motor, schnallte sich jedoch nicht wieder an. Wenn er beleidigt war, so zeigte er es nicht offen. Nur die erhöhte Geschwindigkeit, 130 km, Tendenz steigend, verrieten seinen Gemütszustand. Und ein leichter Geruch nach verbranntem Leder, der unter seinen Händen vom Lenkrad aufstieg.

***

40 Kilometer weiter stoppte er den Wagen erneut. »Ich muss mal«, erklärte er knapp und stieg aus. Die Schlüssel nahm er mit. Die Nacht verschluckte ihn nach wenigen Schritten. Es hatte zu regnen aufgehört. Dicke, schwere Wolken verbargen den Mond.
Ich nutzte die Gelegenheit um zu stöbern und öffnete das Handschuhfach.
Ein Führerschein, dessen Foto ihm nicht einmal ansatzweise ähnlich sah, auch stimmten Größe und Gewicht nicht; ein verpacktes Kondom, das vom Gefühl her uralt sein musste; ein Foto, das eine jüngere ebenso ernst dreinblickende Ausgabe von ihm zeigte, wie er hinter einer Schaukel stand und ein kleines Mädchen festhielt, das in die Kamera lachte und das aufgrund der Ähnlichkeit seine Schwester sein musste; ein Packen Papiere, darunter ein Entlassungsschein aus dem Bezirksgefängnis von Smithers auf den Namen Devlin Marsh.
Datiert auf vorgestern.
Und dann dies:
Sie war dunkel, kühl und schwerer als ich dachte, dass eine Pistole sein würde. Ich probierte etwas herum bis ich das Magazin in Händen hielt. Ich nahm die Kugeln heraus und steckte sie in eine der Seitentaschen meines Rucksacks. Mit einem leisen Klick rastete das Magazin in den Griff ein und ich legte die Waffe zurück. Vor Aufregung schlug mein Magen Saltos. Warum hatte er eine geladene Waffe in seinem Handschuhfach?

***

»Dafür, dass du nur pinkeln musste, hast du aber dir aber ganz schön Zeit gelassen. Oder war es etwas anderes?« Ich warf einen bedeutsamen Blick auf seine Jeans.
»Du überschätzt deinen Anziehungskraft gehörig, Liebes.«
»Tatsächlich?« Auch ich beherrschte den Ein-Augenbrauen-hochzieh-Trick.
Seine Mundwinkel zuckten kurz. Dann wurde sein Blick ernst. »Ich habe im Wald etwas gehört. Jemand hat geschrieen.«
Er sah meinen skeptischen Blick und sagte mit Nachdruck: »Es war definitiv keine Eule oder irgendein anderes Tier. Außer es wäre in der Lage ›Hilfe!‹ zu rufen.«
Er warf mir die Autoschlüssel in den Schoß. »Ich möchte, dass du im Wagen bleibst, verstanden? Und verriegle die Türen hinter mir. Wenn ich bis zum Morgengrauen nicht wieder da bin, fahr los, und sieh dich nicht um.«
Ohne auf meine Proteste zu achten, griff er über mich hinweg, öffnete das Handschuhfach und holte die Pistole heraus, die ich nur Minuten zuvor in eignen Händen gehalten hatte. Er steckte sie sich hinten in den Hosenbund, und schob die Lederjacke darüber. Sollte ich ihm sagen, dass sie nicht geladen war?
Doch da war er bereits im angrenzenden Wald verschwunden. Wenn er die Waffe nun benutzten musste… Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Ich wollte nicht schuld sein an seinem Tod. Außerdem war ich neugierig. Der abnehmende Mond kam hinter den Wolken hervor, sodass es hell genug war, um sich zu orientieren. Ich schälte mich aus dem Parka und sprintete los.

***

Es war einfach, ihm zu folgen. Anders als ich oder als Teufel Nr. 1, wusste meiner nicht, wie man sich vor Jägern verbarg, wie man durch die Wildnis strich, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Und ich war in einer Familie aufgewachsen, in der Spurenlesen eine überlebenswichtige Fähigkeit darstellte.
»Ich kenne diesen Wagen.« Lautlos sank ich neben ihm in die Hocke.
Er fuhr mit einem leisen Fluch auf den Lippen herum. Er hatte mich nicht kommen hören. »Was tust du hier? Ich hätte dich beinahe erschossen.«
Ich verbiss mir ein Lachen. »Nein, hättest du nicht. Ich hab sie entladen, als du ›pinkeln‹ warst.« Ich malte Anführungsstriche in die Luft.
Er ließ das Magazin aus der Waffe gleiten und kontrollierte es. Ein Muskel zuckte in seinem Kiefer. »Hast du auch daran gedacht, die eine Patrone in der Kammer herauszunehmen?«
Mir wurde heiß.
»Nein, natürlich nicht. Ich hätte dich immer noch erschießen können.«
»Mich zu erschießen ist gar nicht so einfach wie du denkst«, murmelte ich zu mir selbst. Laut sagte ich »Und was machen wir jetzt?«
»Beten, dass er uns nicht zuerst sieht.«
Es war ein unscheinbarer Ford Kombi, kastanienbraun, der vor einer heruntergekommenen Holzhütte parkte. Im Inneren der Hütte brannte Licht. Wir hörten Geräusche, die man in keinem Wald hören sollte. Mein Teufel hatte recht, das waren keine Tierlaute. Mein Magen meldete sich wieder, knurrte.
»Was soll das heißen, du kennst diesen Wagen?«
»Der Typ hat mir vor dir eine Mitfahrgelegenheit angeboten. Er wirkte wie einer dieser stillen, unscheinbaren reisenden Vertreter.«
»Warum bist du dann nicht bei ihm eingestiegen?«
»Sein Wagen war mir im Inneren einfach zu sauber, zu steril. So etwas ist unnatürlich. Und er stank nach Bleichmittel.«
»Kluges Mädchen.«
Die Schuldgefühle bissen in meine Eingeweide. »Eine Kugel, hmm?«
»Eine Kugel.«
»Bist du ein guter Schütze?«
Das Lächeln meines Teufels ließ seine Zähne scharf und gefährlich im Mondlicht aufleuchten. »Darauf kannst du wetten.«
Doch er sollte nicht dazu kommen, sie abzufeuern.

***

Mein Magen, die Hitzewallungen, die Gier, das Adrenalin, die unterdrückte Lust – all das brach sich Bahn, als der nächste verängstigte Schrei durch den Wald hallte. Ich überwand die 50 Meter zwischen dem Dickicht, in dem wir uns versteckten, und der Hütte des Handelsvertreters in drei gewaltigen Sätzen. Ich hielt mich nicht mit der Tür auf, sondern sprang in vollem Lauf durch das Fenster. Glas barst und scharfkantige Splitter flogen zu allen Seiten in den Raum, bohrten sich mir schmerzhaft ins Gesicht und die nackten Arme. Der Schmerz tat gut. Er feuerte meine Wut an. Meine Zähne schlugen scharf klackernd aufeinander. Ich schmeckte Blut in meinem Mund, meine Zunge pochte.
Mir wurde schwindelig, doch ich klammerte mich an die alles verzehrende Hitze der Raserei in meinem Blut, ansonsten hätte ich den Anblick im Zimmer nicht ertragen und wäre geflohen.
Das Bett, die Ketten, die zerfetzten Kleider, das Mädchen, die Mädchen?, die Schnittwunden und das Blut. Das viele viele Blut.
Ich schüttelte den Kopf um den Geruch aus der Nase zu bekommen und meine Sicht veränderte sich, wurde schärfer.
Der Handelsvertreter stand neben dem Bett, immer noch in Anzug und Krawatte, ein Jagdmesser in der Hand. Er hob den Kopf, zuerst erschien Verwirrung, dann Überraschung auf seinem Gesicht, als er mich erkannte. »Du?«
Die Augen des Handelsvertreters weiteten sich, der Ausdruck auf seinem Gesicht veränderte sich, wurde ersetzt durch Schrecken, als er mich wirklich ansah. »Was zur Hölle, bist du?«
Ich muss zugeben, wenn man nicht darauf vorbereitet ist, ist mein Anblick durchaus furchterregend. Vor allem während sich mein Körper im Übergang von einer Form in die andere befindet. Das sich über meinem Körper ausbreitende seidige Fell, die geschlitzten grünen Pupillen, die langen Schnurrhaare, die an meinen Hände wachsenden scharfen Krallen – auch im Zwischenstadium, noch auf zwei Beinen stehend, bin ich durchaus beeindruckend als Puma.
Er war erstarrt, rührte sich nicht. Sein Körper reagierte auf mich dafür umso mehr.
Mein anderes Ich hörte die Angst aus seiner Stimme, roch das Adrenalin in seinem Blut, hörte das panische Schlagen seines Herzens. Es bleckte die Zähne. Geduld, sagte ich zu ihm. Noch nicht.
Die Tür flog auf, ich spürte einen Luftzug im Rücken. Und die Hitze, die von meinem Teufel ausging. Unsichtbare Flammen leckten an meinem Gesicht wie eine Liebkosung/ein Kuss.
»Was bist du?«, wiederholte er.
Kurz dachte ich an den verlassenen LKW mit der blutbespritzten Windschutzscheibe, und an einen zertrümmerten Wohnwagen in der Nähe des Skeena Rivers.
Mit einem bitteren Lächeln, so scharf wie das des Teufels hinter mir, sagte ich: »Wahrscheinlich ein ebenso schlimmes Monster wie du./Etwas wesentlich Schlimmeres als du.«
Ich spürte die Gier in mir toben, dachte an all die tausend schmerzhaften Arten, wie ich seinen Tod hinauszögern könnte, und dann dachte ich an das Mädchen – verstört, verängstigt und wie entsetzt es von meinen Gedanken wäre, die gerade durch den Kopf gingen.
Aber vielleicht würde es mir auch zustimmen? Ich sah absichtlich nicht zum Bett. Stattdessen konzentrierte ich mich auf mein Gegenüber – auf die kleinen Schweißperlen auf seiner Stirn, wie seine waffenlose Hand zitterte, und er es zu verstecken versuchte, indem er sie in den Stoff seiner Hose krallte, den verrückten Glanz in seinen Pupillen. Die andere Hand, die das Messer, hielt, zitterte ebenfalls.
»Nicht bewegen«, herrschte ich ihn an. »Bleib weg von der Kleinen. Wenn du ihr zu nahe kommst…« Ich riss den Mund auf, zeigte ihm meine sich verändernden Zähne, das Raubtiergebiß. Er wurde ganz blass. Befriedigung ließ meinen Magen wieder leise knurren.
Holzasche-Geruch stieg mir in die Nase, darunter der scharfe Geruch von unterdrückter Wut. Ich drehte mich halb zu meinem Teufel um, ließ dabei den anderen nicht aus den Augen. Er hatte die Waffe im Anschlag. Mit kurzen scharfen Blicken erfasste er den Raum und die Situation. Ohne mit der Wimper zu zucken nahm er meine neue Gestalt in sich auf.
Dann sah er das Mädchen und sein Gesichtsausdruck wurde so hart und düster, mein Herz machte vor Freude einen Sprung. In seinen Augen loderte dasselbe Feuer auf, das ich auch in mir verspürte.
Seine Augen verengten sich. »Schaff sie hier raus.«
Er berührte die Wand neben der Tür. Plötzlich roch es in der Hütte nach verbranntem Holz. Dort, wo seine Hand auf dem Holzbalken gelegen hatte, war nun ein verkohlter Handabdruck.
Er kam näher, ging an mir vorbei, die Waffe immer noch auf den Anzugstypen gerichtet.
Ich trat auf das Bett zu.
Das Mädchen wimmerte. Versuchte, von mir wegzurutschen. Ich nahm es nicht persönlich. In diesem Zustand wäre ich mir auch nicht gerne im Dunkeln begegnet. »Schsch, wir sind die Guten.« Zumindest heute Nacht.
Ich besah mir ihre Handschellen, dann meine verkrümmten Hände. Mit meinen Krallen würde ich den Schlüssel nicht halten, geschweige denn, ihn im Schloss umdrehen können. Und Metall zerreißen konnte ich nicht. Unmöglich, das Mädchen zu befreien, ohne ihr wegzutun. »Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, meine Feinmotorik ist gerade etwas gestört. Bring du sie hier raus. Und überlass ihn mir.«
Ein Schrei erklang und ich roch den beißenden, süßlichen Gestank nach verbrannter menschlicher Haut und Haaren.
Meine Lippen formten unwillkürlich ein Halblächeln. Ich hatte mich in ihm also nicht getäuscht. Wir sind nur so gut,wie unsere kulturellen Ketten, die uns im Zaum halten.
Mein Teufel hatte sich den Schlüssel geholt und machte das Mädchen los. Er redete behutsam auf sie ein, wickelte sie in die zerschlissene Tagesdecke und hob sie vom Bett. An der Tür drehte er sich zu mir um. »Was hast du vor?«
»Was er mit ihr vorhatte.«
Als seine Schritte hinter mir verklangen, ging ich auf den Handelsvertreter zu. Er wich vor mir zurück bis sein Rücken an die Wand stieß. Ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen, holte ich aus und schlug zu. Im Licht des Vollmondes leuchtete das Blut des Handelsvertreters scharlachrot auf meiner krallenbewehrten Hand.
Er war wieder da. Allein. Ich konnte ihn riechen. Ich wischte mir die Hand der Jeans ab.
Langsam, um meinem Teufel Zeit zu geben sich zu sammeln, drehte ich mich um.
Sein Gesichtsausdruck verriet nichts.
Beton lässig fragte ich: »Willst du mich immer noch?«

***

Mein Teufel hatte die Hütte niedergebrannt und auch den Wagen in Brand gesteckt. Mit seinen bloßen Händen. Wie beeindruckend. Man könnte fast neidisch werden.
Wir hatten das Mädchen, tatsächlich eine Ausreißerin, auf die enge Rückbank gepackt, wo es innerhalb kürzester Zeit tatsächlich, trotz der unbequemen Haltung, eingeschlafen war. Allerdings hatte mein Teufel mit einem Flachmann nachgeholfen. Wir würden es in der nächstgrößeren Stadt an einer Tanke oder einem Dinner herauslassen.
Wir hatten die Polizei nicht verständigt, sondern uns einfach aus dem Staub gemacht. Wir hatten beide unsere Gründe, die Bullen nicht auf uns aufmerksam zu machen. Wir sind keine Helden.

***

Mir stand der Sinn nach Schlaf und Sex und Alk. Nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Stattdessen redete ich.
»Ich heiße Stacey. Freunde, wenn ich denn noch welche habe, nennen mich Sticks.«
Er warf mir einen Blick zu. »Devlin.«
»Ich weiß. Warum warst du im Knast?«
»Du hast also rumgeschnüffelt.«
Ich ignorierte ihn. »Das ist nicht dein Wagen, wem gehört er?
»Auf einmal stellst du Fragen? Schon mal was von Privatsphäre gehört?«
»Lässt du mich mal fahren?«
Er seufzte nur.
»Es ist noch eine verdammt weite Strecke bis Jasper. Wir sollten uns mit Fahren abwechseln.«
»Nein.«
Um ihn zu ärgern, sagte ich: »Du weißt, was man über Jungs mit Sportwagen munkelt?« Ich warf einen bedeutsamen Blick in seinen Schritt. »Sie kompensieren ihre Ausstattung.«
Er sah kurz zu mir herüber. Das scharfe Lächeln umspielte seine Mundwinkel, doch das Feuer in seinen Augen war erloschen. »Glaub mir, in dieser Hinsicht musst du dir keine Sorgen machen.«
Im Licht des aufziehenden Morgens sah mein Teufel gar nicht mehr so teuflisch aus. Eher erschöpft, wie nach einer außer Kontrolle geratenen, zu heftigen Party mit zuviel Konsum von allem.
Ich drehte am Radioknopf. Es rauschte, doch dann schwebte klar und deutlich eine Songzeile über den Äther zu uns:

»Let me ride on the devil’s back / But save my soul / Save my soul«

Plötzlich verstand ich Devlin. Er war wie sein Wagen:
Äußerlich glänzend und neu, innerlich zerschlagen und gebrochen. Wie ich.
Er war auf der Flucht vor sich selbst. Wie ich.
Vielleicht könnte das mit uns doch funktionieren.

*** The End ***